Deutsche Filmkomponisten Folge 5
'Peter Thomas mit Worten zu beschreiben unmöglich! Seine Musik schafft dies wohl am besten. Peter Thomas mittels deutschem Schubladendenken zu kategorisieren unmöglich, da interveniert er energisch! Peter Thomas: ein schöpferischer Tausendsassa, immer auf dem Sprung, um nicht festgelegt zu werden, ein Vordenker auf vielen Gebieten, ein raffinierter "music-dramatic" Effekt-Erhascher, ein Soundbastler, ein genialer Komponist, ein liebenswerter Mensch. Peter Thomas wird am 1. Dezember 1925 in Breslau geboren. Er ist noch ein kleiner Junge, als die Familie nach Berlin umzieht, wo er nun aufwächst. Beziehungen zur Musik liegen in der Familie: "Großvater väterlicherseits: Fabrikdirektor und Komponist von Militärmärschen, außerdem Flötist. Der andere Opa, mütterlicherseits: ein ehemaliger Militärkapellmeister (im IV. Garderegiment zu Fuß), der mit seiner Regimentsmusik alltäglich durchs Brandenburger Tor zur 'Wachablösung' marschierte. 2x also trafen sich da wohl Gene de la musique." Der Militärkapellmeister Richard Rathke beginnt sehr strikt, zweimal die Woche, den musikalischen Weg zu ebnen - mit allem Drumherum: "Mit etwa 5 Jahren begann mein Klavierunterricht. Wenn ich nicht übte, sollte ich abwaschen oder Kohlen holen. Ich bin heute noch sehr dankbar, dass ich durch das von 'La Mama' trickreich lancierte Vermeiden von 'niederen' Hausarbeiten zu einem Klavierspieler geworden bin. Schon als kleiner Steppke habe ich zu Schlagern im Radio meine Variationen hineingeklimpert. Später habe ich in der Erlöserkirche in Berlin-Tiergarten Orgel gespielt. Ich bin dort getauft worden, getraut worden und habe mich auch getraut, dort Orgel zu spielen; allerdings oft nicht das, was in den Noten stand. Ich habe immer versucht, was Eigenes daraus zu machen." Nach verlorenen Jahren als Soldat und Kriegsgefangener kehrt er 1945 nach Berlin zurück. Er zieht in allen vier Sektoren der Stadt umher, spielt für alle Alliierten: "Am meisten gelernt, wie man Gefühle erzeugt, habe ich bei den Russen in Potsdam da war Seele angesagt; Moll das klappte wundervoll. Bei den Franzosen wie heute, Easy Listening; viel -Takt, gepaart mit taktvoller Leichtigkeit. Die Engländer wollten traditionellen Ballroom-Swing mit Klavier und Cello plus Sologeige. Bei den Amerikanern zu spielen war am beliebtesten, denn da gab es schon die ersten Notenheftchen, die hießen 'Hit Kit'. Dadurch war man up to date Songs wie 'Stardust', 'Gonna Take', 'How High The Moon', das wurde verlangt." Peter Thomas nimmt seine begonnenen Studien wieder auf, lernt von 1949 bis 1953 am Mohr'schen Konservatorium und bei Professor Hans F. Husadel und macht 1953 seinen Abschluss in den Fächern Dirigieren, Tonsatz, Kontrapunkt und Blasmusik. Speziell die Posaunen haben es Thomas angetan, sie werden seinen späteren Sound entscheidend mitprägen. Beim AFN (American Forces Network) hört er derweil die Musik der großen Orchester: David Rose, Hugo Winterhalter, Percy Faith, Leroy Anderson, André Kostelanetz und das Hollywood Bowl Symphony Orchestra. "Mein klassisches Musikstudium und diese amerikanischen Orchester inspirierten mich zu einem eigenen Sound." Thomas beginnt beim damaligen RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) als Arrangeur, schreibt u. a. Bearbeitungen für Hans Carste (für diverse Besetzungen, wie z. B. 66 Streicher, großes Orchester et cetera) und auch Werner Eisbrenner (Spezialarrangements für Filmmusik). Auch betreut er fünf Jahre lang die wöchentliche NWDR-Rundfunksendung 'Berliner Feuilleton' mit themenspezifischer Musik. "Im Grunde war das ja wie Filmmusik, nur eben ohne Film; sozusagen Radiomusik nach Themen. Und irgendwann fragte mich Jürgen Neven-du Mont, ob ich nicht auch Soundtracks komponieren könne. Das war dann 1958 mein Fernsehdebüt, der mit großem Sinfonieorchester vertonte Doku-Film 'Dem deutschen Volke'. Das war der Initialzünder, es klappte, es klang, das Fernsehen fing an - und im Laufe der Zeit schrieb ich und spielte ich für heute kaum nachzuzählende FS-Produktionen und deren Orchester." Nach nur wenigen Filmen beauftragt der aufstrebende Jungregisseur Will Tremper ihn 1960 mit der Musik zu seinem Erstlingswerk 'Flucht nach Berlin', einem der wenigen deutschen Filme, die sich auf seriöse Weise mit der Zonenflucht-Problematik auseinandersetzen: "Tremper war eine Ausnahmeerscheinung im damaligen Kino-Gewerbe." Für seine Partitur erhält Thomas am 25. Juni 1961 seinen ersten Bundesfilmpreis in Gold. Die Branche wird aufmerksam. 1963 bekommt er seinen zweiten Bundesfilmpreis, für die Musik zu dem ebenfalls von Tremper inszenierten Film 'Die endlose Nacht'. Das darin erklingende Komm, leg deinen Arm um mich ist auch hier zu hören, gesungen von der durch Peter Thomas und seine Frau Cordy bei Louis Rey in Lausanne entdeckten Einmal-Begabung Esther Ofarim. Kurze Zeit später schreibt Thomas für sie das Album 'Melodie einer Nacht', das ein Riesenerfolg wird und ihr und ihrem Mann Abi eine Weltkarriere ermöglicht. "Der heute noch In-aller-Ohren-Song 'Schatz, geh nach Haus' (Text: Cordy Thomas), im Duett mit Abi, hatte anfangs Schwierigkeiten, bei den Sendern gespielt zu werden, wegen 'Anstiftung zum Gattenmord'. Ja, das waren halt noch Zeiten." Thomas vertont auch Esthers ersten Spielfilm 'Es war mir ein Vergnügen', für den er mit dem herrlich arrangierten und von ihr unnachahmlich vorgetragenen 'Das ist meine Liebe' (Text: Fritz Rotter) einen der schönsten Filmschlager der sechziger Jahre verfertigt. 1961 kommt mit seiner Verpflichtung für den Edgar-Wallace-Film 'Die seltsame Gräfin' seine Filmkarriere richtig ins Rollen. Mit seiner im deutschen Film neuen Art des Komponierens wird er zum Stammkomponisten der Reihe, was sich in 18 Filmen bilanzieren lässt. Seine schnellen Twist- und Beat-Soundtracks, seine vokalen Extravaganzen "die Sänger jammerten immer, das wäre schlicht unsingbar" und die futuristischen Soundeffekte "Peng, peng, der Hexer" legen den musikalischen Stil der Filme fest. Im Verbund mit Regisseuren wie Alfred Vohrer und Harald Reinl entstehen die erfolgreichsten Filme der Reihe. Ob klerikales Klangpanorama ('Das Geheimnis der weißen Nonne', 'Der unheimliche Mönch'), loungeatmosphäre verbreitender Barjazz ('Der Zinker', 'Das Verrätertor') oder schlichtweg 'Thomas'sche Ballermannmusiken' ('Der Bucklige von Soho', 'Der Gorilla von Soho') in seinen Noten ist alles bestens aufgehoben. Seinen Wallace-Ausstand gibt er im Jahr 1971 mit dem Film 'Die Tote aus der Themse'. Durch seine Wallace-Erfolge in den frühen Sechzigern entwickelt sich Thomas zu Deutschlands führendem Krimikomponisten; ein Ruf, der sich in seiner späteren Fernsehzeit noch weiter festigen sollte. Er vertont Wallace-Epigonen wie 'Ein Alibi zerbricht', die Weinert-Wilton-Verfilmung 'Die weiße Spinne', 'Das Wirtshaus von Dartmoor' nach einem Roman von Victor Gunn und später die achtteilige Filmserie um den 'deutschen James Bond' Jerry Cotton. Thomas arbeitet zu dieser Zeit wie ein Besessener. Teilweise kommen bis zu sieben von ihm vertonte Filme pro Jahr in die Kinos. Es muss schnell gearbeitet werden, mit möglichst geringem Budget. Rialto-Chef Horst Wendlandt sagte immer: "Mach, was du willst, es muss nur gut sein und: auf keinen Fall zu teuer." "Bei Trempers 'Flucht nach Berlin' haben wir eine Woche Musik gemacht, so lange wie nie wieder. Bei den Edgar-Wallace-Streifen hatten wir pro Film ca. 2 - 3 Tage. Wir ballerten live 60 Takes runter, improvisierten, Musiker mussten gleichzeitig steppen und spielen, knallten Türen, husteten im Takt. Komische Dinge, die heute verrückt klingen, aber zu den Filmen passten. Jedenfalls so nach zwölf Stunden Musikaufnahmen fielen mir die Musiker um. Ich nicht, ich bin ein Steher." Diese Arbeitsweise funktioniert natürlich nur mit den richtigen Musikern. Thomas, der trotz knapper Budgets seine Scores bereits seit Mitte der sechziger Jahre fast ausnahmslos in Stereo einspielt, holt sich für seine Soundtrack-Sessions nur die Top-Instrumentalisten der Branche. Klaus Doldinger spielt bei 'Playgirl Berlin ist eine Sünde wert' Saxophon, Posaunist Albert Mangelsdorff ist ebenso dabei wie Charlie Tabor, einer der besten europäischen Swingtrompeter. Die späteren Amon-Düül-II-Kollaborateure Lothar Meid (Bass) und Olaf Kübler (Saxophon) gehören zur Standardbesetzung des Peter-Thomas-Sound-Orchester; Studio-Asse wie Michael Goltz und Franz Löffler wechseln sich an den Gitarren ab. Die charakteristischen Orgel- und Klavierpassagen werden von Ingfried Hoffmann und Otto Weiss bestritten, "allesamt Top-Jazzmusiker, die spielen vom Blatt wie die Rasenmäher, das sind 'Notenfresser' - und dabei aber voll eigenkreativ in der Gestaltung. Dann hatte ich da noch solche Leute wie Jan Hammer (Orgel), der später die Musik zu 'Miami Vice' schrieb, Siegfried Schwab (The Best of the Best, ein Weltmeister auf der Gitarre) also alles völlig beknackte Typen. Dabei dennoch liebenswerte und besessene Musiker; dass die Freude daran hatten, ist heute noch zu hören." Die treibenden Drums bei den Scores aus den späten Sechzigern und frühen Siebzigern spielt Wolfgang Paap, "verrückt, aber klasse". Nur mit solchen Könnern ihrer Zunft lassen sich Thomas' Vorgaben realisieren, er definiert den heute gültigen Begriff eines Produzenten: "Du musst die Persönlichkeit des Musikers ankratzen, damit durch sein Gestalten die Töne zum Leben erweckt werden. Damals meinten alle, der Thomas ist schwierig, der meckert so viel. Heute wird das geschätzt." 1965 lanciert Constantin-Film, deren markante Eröffnungsfanfare ebenfalls von Peter Thomas stammt, mit dem Jerry-Cotton-Film 'Schüsse aus dem Geigenkasten' eine weitere erfolgreiche Filmserie. Da die Filme, mit Ausnahme einiger Travelling-Made-US-Aufnahmen, die das Amerika mittels Rückprojektion transmittieren, zwecks Kostenminimierung ausschließlich in Deutschland produziert werden, wird Peter Thomas engagiert, um den Filmen zusätzliches Tempo und einen 'amerikanischen' Touch zu verschaffen. "Das Ansinnen des Constantin-Bosses, Konsul Waldfried Bartel, war: Eine Melodie muss her, die wie bei Wagner als Leitmotiv immer und immer wieder in allen möglichen Varianten ertönt und wenn dann das Gute siegt, wird das Thema zum Marsch, eben zum allbekannten Jerry Cotton Mar(s)ch. Diese Vorgabe war ein toller Einfall - das Thema des Marsches aber auch." Weitere sieben Cotton-Filme folgen, allesamt von Thomas vertont. Es entstehen Klassiker wie das schüssepeitschende Caught at Midnight oder der loungekompatible Vokaltitel Ask me later, Alligator: "Die Besetzung stets Bigband, mit der PT 'ballern' konnte, Posaunen bevorzugt, plus Strings, aber die Bigband sounded nicht allbekannt nein, hier wird der Peter-Thomas-Sound klar er-hörbar." Bei den Cotton-Soundtracks, wie auch bei vielen Musiken für andere "Zappelbilder", findet auch das von Thomas zusammen mit dem Toningenieur Hansjörg Wicha erfundene Towiphon Verwendung: "Das ist ein Synthesizer, der anstelle von zwei Generatoren 12 hat, weil ich für jeden Ton einen Generator haben wollte, z. B. zwölfmal ein A haben, das war kon-geniale Ton-Mach-Art. Vor ein paar Jahren hab ich es dem Deutschen Museum gespendet, da steht es nun so vor sich hin." Mitte der sechziger Jahre reist Thomas munter zwischen den verschiedensten Filmgenres umher. Immer wenn ein Film anders klingen soll, als es Usus ist, wird er engagiert. So entstehen zur Großproduktion 'Onkel Toms Hütte' breitwandige Filmmusiken, ebenso wie Vokaltitel mit internationalen Größen wie Juliette Greco und Eartha Kitt. "Die Kitt war so begeistert von dem Song, dass sie am Ende in die Aufnahme hineinapplaudiert hat. Wir mussten ausblenden, aber wenn man ganz genau hinhört, ist noch ein wenig davon zu hören." Die Karl-May-Konkurrenzproduktion 'Der letzte Mohikaner' (nach James Fennimore Cooper) wird ebenso von Thomas vertont wie der letzte von Horst Wendlandt produzierte May-Film 'Winnetou und sein Freund Old Firehand', für den Thomas, sowohl dem Zeitgeschmack als auch der Machart des Films geschuldet, knallige Themen mit Grätsch-Gitarre und sonoren Bläsern liefert. Für den einzigen deutschen Gothic-Horror-Film, Harald Reinls 'Die Schlangengrube und das Pendel', komponiert er abseits von genreüblichen Symphonikorgien einen facettenreichen Score, der von einem posaunengetriebenen Titelthema über synthesizerverstärkte Harmoniespielereien bis zu fast kindlich anmutenden Popthemen reicht und damit die Grundstimmung des Films teilweise beinahe konterkariert: "Ich lieferte eigentlich eine sehr abstruse Musik ab, die gar nicht dem Kommerz entsprach. Die war total konträr zu den Filmen, im kommerziellen Sinn sogar tödlich. Aber es passte. Ich hatte Glück damals. Die Produzenten haben einen gewissen Kostenrahmen abgesteckt und dann gesagt: Jetzt mach mal. Man musste nur pünktlich sein, sonst hatte man alle Freiheiten. Aber, klarissimo, die 'Musi' musste full pointiert stimmen." Auch der sogenannte Kunstfilm bedient sich Thomas' Fähigkeiten. Für Rolf Hädrichs Interzonen-Drama 'Verspätung in Marienborn' steuert er den traumhaften Vokaltitel Memories Of Berlin bei, vertont ebenso den sozialkritisch inszenierten Film 'Begegnung in Salzburg' mit Curd Jürgens. Ein letztes Mal arbeitet er 1965 mit Will Tremper zusammen, als dieser, nach über einem Jahr Drehzeit, seine Milieustudie 'Playgirl Berlin ist eine Sünde wert' fertigstellt: "Tremper war total verrückt. Detailverliebt, hat immer wahnsinnig überzogen. Er konnte mit Geld nicht umgehen, aber er war hochbegabt. Er war im Hauptberuf Journalist, der Filmbuch schrieb und schließlich selbst Regie führte. Das machte er ganz toll, aber er war zu früh. Er wurde nicht erkannt dabei und machte immer eine Pleite nach der anderen. Aber ich habe mit ihm drei Filme gemacht und zwei Bundesfilmpreise gekriegt. Je preisgekrönter, desto tiefer gefallen: Die Filme sind nicht gegangen." Thomas versieht den Film mit abwechslungsreicher Musik, die u. a. vom Klaus-Doldinger-Quartett eingespielt wird. Die zwei für den Film geschriebenen Vokaltitel Monster und Mister Unbekannt (beide Texte von Thomas' Frau Cordy), gesungen von der bezaubernden Marie France, gehören auf höchste psychedelische Olympiaränge. Die seinerzeit auf Philips veröffentlichte Soundtrack-LP ist heute ein wertvolles Sammlerstück. Während seiner Film- und Fernseharbeiten findet Thomas auch immer wieder Zeit, um sich der Schallplattenproduktion zu widmen. Herausragendes Beispiel sind seine Klassikbearbeitungen auf der LP 'Classics à la Pop', bei der von Bach bis Verdi fast alles auf verrückt-liebenswerte Weise re-interpretiert wird. Für Polydor entstehen über die Jahre auch viele Bearbeitungen aktueller Pophits wie etwa Valleri (von den Monkees), Jumpin' Jack Flash (von den Rolling Stones) oder Delilah (von 'Tiger' Tom Jones). Außerdem erscheinen viele seiner aktuellen Filmmusiken auf Single, damals ein Novum bei deutschen Filmen, das fast nur die von Martin Böttcher vertonten Karl-May-Filme für sich verbuchen können. Überhaupt gehen Vinyl-Ausgaben von Thomas' Musiken außergewöhnlich gut, sein Melissa-Thema aus dem gleichnamigen Straßenfeger wird ein Charterfolg und Topseller. Allzu große Innovationen, wie die 1964 mit dem schwarzen Sänger Joe Quick aufgenommene Single The World Is Gone, sind ihrer Zeit zu weit voraus. "Man kann sagen, so sagt's Götz Alsmann in einem CD-Begleittext: 'Peter Thomas hat den Rap erfunden.' Ich habe damals zu Joe gesagt: 'Red einfach mal, stell dir vor, die Welt ist gerade untergegangen.' Ich habe einen anderen schwarzen Sprecher vom AFN verkünden lassen: 'Meine Herrschaften, die Welt ist gerade untergegangen. Hören Sie nun ein Interview mit dem einzigen Überlebenden.' Die Single hat kein Sender gespielt, die dachten, der Thomas ist verrückt. Und nun gibt's den Titel weltweit clickbar via iTunes na bitte, geht doch." Das Fernsehen verlangt ebenfalls nach Thomas' Melodien. In dieser Zeit der Aufbruchstimmung herrscht Sendungsbewusstsein, das noch belächelte Pantoffelkino bietet breitgefächerte Möglichkeiten. Thomas vertont Kriminalistisches ('Die Schlüssel', 'Melissa', beide nach Francis Durbridge), Satirisches ('Dr. Murkes gesammeltes Schweigen', nach Heinrich Böll) und Melodramatisches ('Haben'). Für den Produzenten Helmut Ringelmann versorgt er die beiden Herbert-Reinecker-Dreiteiler 'Babeck' und '11 Uhr 20' mit zündender Musik für Letzteren schreibt er der nachmaligen Disco-Queen Donna Summer, "die hieß damals noch Gaines", ihre ersten beiden Vokalstücke beides, auch durch die Texte von Thomas' Frau Cordy, surrealistische Höhepunkte des deutschen Schlagers. Sein größter und langlebigster TV-Erfolg ist allerdings der 1966 entstandene Soundtrack zur ersten deutschen Science-Fiction-Serie 'Raumpatrouille Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffs Orion'. Thomas ersinnt hierfür einen wilden Mix aus Jazz, Beat, Klassikanleihen, Zwölftonmusik, psychedelischem Klangkolorit, extraterrestrischen Soundeffekten und partiell verlangten Improvisationssoli der ganz besonderen Art. "Eigenartig gesetzte, schizophrene Akkorde" sowie die Ausschöpfung aller klanglichen Möglichkeiten jedes Instruments sind Programm; dieser 'New Astronautic Sound' ist heute so etwas wie Thomas' Markenzeichen. Die selbstgesprochene, charakteristische "Runterzähle", auf die er heute noch stolz ist, entsteht folgendermaßen: "Ich ging mit einem Cellisten der Münchner Philharmoniker zur Firma Siemens, Abteilung Electronic Studio, welche Siemens einst für Carl Orff eingerichtet hatte. Dort stand ein riesiger Vocoder, mit dem man während des 2. Weltkriegs Nachrichten von Munich nach Paris verschlüsselt hatte. Durch ihn konnte man 2 Klänge miteinander vermengen also sagte ich dem Cellisten, er solle ein tiefes C spielen, und ich zählte dazu von 10 rückwärts. Diese Sounds 'vermählten' sich, das sounded dann so, wie man's nun hört." Mit dem erfolgreichen 'Rücksturz ins Kino', der der Orion im Jahre 2003 produzierten Film gleichen Namens gelang, manifestierte sich auch dieser Sound im neuen Jahrtausend und ist aufgrund seiner Andersartigkeit und revolutionären Machart heute noch, wie damals, seiner Zeit weit voraus. "Wahrscheinlich resultiert die Popularität des 'Orion'-Themas auch daraus, dass es [im Prinzip] nur eine Harmonie hat, auch wenn sich vieles drum herumrankt. Und wenn einer nur a-Moll kann, dann kann er mit der Melodie nach Hause reiten, mit diesem a-Moll. Eigentlich liebe ich jedoch mehr und mehr Harmonien, die das Urgefüge einer Melodie sind und auch immer und ewig bleiben werden." Für die deutsch-amerikanische Koproduktion 'Jack Of Diamonds/Der Diamantenprinz' hat Thomas ein relativ großes Budget zur Verfügung: "Bei deutschen Produktionen war das musikalische Package monetär immer recht dünn. Hier aber konnte ich sogar viele Streicher nehmen; und mit vielen Streichern klingt's immer." Der Film, der den vielleicht 'amerikanischsten' Thomas-Score vorzuweisen hat, erreicht die deutschen Filmtheater leider nicht und feiert erst im Fernsehen seine Premiere. Weiterhin entstehen Musiken für einige Komödien, so etwa zum Heinz-Erhardt-Film 'Unser Willi ist der Beste', dem Pauker-Streifen 'Zum Teufel mit der Penne' oder der Sexklamotte 'Nach Stockholm der Liebe wegen'. Auch für die geistreiche Komödie 'Die Herren mit der weißen Weste', in der der unvergessliche Martin Held einer großen Besetzung vorsteht, liefert Thomas schmissige Themen mit Ohrwurmqualität. Für diese kommen, für einen Krimi damals unüblich, vordergründig sonore Celli zum Einsatz. 1969 dreht Gunter Sachs seinen Film 'Happening In White', in dem er das Stilmittel der Superzeitlupe in revolutionärer Art und Weise einsetzt. Die daraus resultierenden ungewöhnlichen Bildfolgen verlangen eine dementsprechend außerordentliche Musikuntermalung. Thomas' Klangschöpfungen verschmelzen subkutan mit dem kongenial gefilmten Geschehen Musik und Film stellen wahrlich ein großes Ganzes dar, zwischen Ton und Bild besteht eine symbiotische Beziehung: "Klaro, solche Gunter-Sachs-Bildfolgen animieren eben zu adäquaten Musikpassagen. 'Happening In White' hatte seine Premiere in der Luft, zusammen mit der Erich-von-Däniken-Verfilmung 'Erinnerungen an die Zukunft'." Es war das erste Mal, dass die Lufthansa während eines Fluges von Frankfurt/Main nach New York so etwas machte und Entertainment in luftiger Höhe servierte: "Auf dem Flug von Ffm nach NY 'spulte' man den Film in Deutsch ab und 'rückwärts', sprich from NY back to Ffm, in englischer Sprache. Hunderte von Journalisten waren 'geladen' und auch 'voll' da. Der Composer war nicht geladen, dafür ward dieser geladen, als er Kritiken las. Besonders eine von Michael Jürgs von der Münchner Abendzeitung. Diese Kritik hat er aber netterweise korrigiert ja, so was gab's damals noch." Mit dem Abflauen der großen Kinoserien Edgar Wallace und Jerry Cotton wie des kommerziellen Kinos in Europa allgemein beginnt auch für Thomas Anfang der siebziger Jahre eine Neuorientierung. Das Fernsehen ist dankbar; Thomas, seit den Sechzigern im TV stark gefragt, wird zum musikalischen Spannungsgaranten für Seriendauerbrenner wie 'Derrick' (mehrere Episoden), 'Der Alte' (Titelmusik und mehrere Folgen der 1. Staffel, darunter José Giovannis Skandalepisode 'Der Alte schlägt 2x zu') und natürlich 'Der Kommissar' (mit 22 Folgen meistbeschäftigter Tonsetzer dieser Reihe). Der eigens für eine 'Kommissar'-Folge geschriebene Daisy-Door-Song Du lebst in deiner Welt wird ein regelrechter Single-Smash-Hit, verkauft sich über 500.000-mal. Außerdem betreut Thomas Serien wie 'Café Wernicke' (Schallplattenpreis der Deutschen Phono-Akademie), 'Mein Freund Winnetou', 'Sergeant Berry' oder 'Der Kurier der Kaiserin'. Dennoch betreut er während dieser kritischen Zeit des deutschen Kinos bis in die achtziger Jahre hinein auch viele Kinofilme. Darunter finden sich neben der Simmel-Verfilmung 'Der Stoff, aus dem die Träume sind', der Milieustudie 'Unter den Dächern von St. Pauli' oder der europäischen Fassung des Bruce-Lee-Films 'Big Boss Die Todesfaust des Cheng Li' auch einige Softerotik-Streifen ('Unterm Röckchen stößt das Böckchen', 'Hilfe, mich liebt eine Jungfrau') sowie Filme aus Wolf C. Hartwigs berüchtigter 'Report'-Schmiede ('Urlaubs-Report', 'Erotik im Beruf'). Für den 2. 'Schulmädchen-Report' schreibt Thomas den poppigen Titel Schulmädchen müssen so sein (Text: Heinz Bothe-Pelzer), gesungen von Daisy Door. Zusätzlich komponiert er Musik für die beiden Aufklärungsfilme über 'Die vollkommene Ehe' (nach van de Velde), deren herrliche Soundtracks leider nur in Frankreich auf Tonträger erscheinen. Auf das nicht unbedingt hohe Niveau solcher Filme angesprochen, meint der Komponist: "Ich habe immer gerne Musik für schlechte Filme geschrieben. Eine gute Filmszene kann man auch mit einem Triangel begleiten, aber schlechte Szenen verlangen nach einer musikalischen Idee." Diese Aussage bestätigt sich in seinen Arbeiten aus der Skurrilitäten-Abteilung des deutschen Films, wie etwa 'Die Weibchen' oder 'Engel, die ihre Flügel verbrennen', für den er den hinreißenden, von James Darvin gesungenen Vocalburner Angels Who Burn Their Wings abliefert. Beide Filme hat er nicht zuletzt wegen der Zusammenarbeit mit dem Regisseur Zbyneck Brynych in guter Erinnerung; "ein Mann, der mich sehr zum eigenständigen Komponieren animierte. Sehr gebildet, einsame Klasse." Weiterhin zeichnet er verantwortlich für die Beschallung der Erich-von-Däniken-Verfilmungen 'Erinnerungen an die Zukunft' und 'Botschaft der Götter'. Erstgenannten Soundtrack hält er selbst für einen seiner besten: "Weil die Anforderungen so total outside jeglichen Denkmanövers waren, hat mich das inspiriert . . . und 's hat overall gefallen. Hat mir sehr viel Freude gemacht." Die wilde Mischung aus Jazz und Klassik, neoklassischen Arrangements nach Johann Sebastian Bach, Experimentalsounds und Tonsetzakrobatik wird seinerzeit in den USA als LP veröffentlicht und ein überdurchschnittlicher Erfolg. Für die millionenschwere internationale Großproduktion 'Steiner Das eiserne Kreuz 2. Teil' - ". . . und man vergesse bitte nicht, dass das ein deutscher Produzent war, Wolf C. Hartwig, der das auf die Beine stellte . . ." liefert Thomas mit seinem PTSO in Kombination mit dem Berliner Symphonieorchester einen opulent arrangierten, großorchestralen Score, der zu begeistern weiß. Abseits seiner rarer werdenden Kino- und Fernseharbeiten in den späten siebziger und achtziger Jahren nimmt Thomas für den Verlag Ring-Musik unzählige sogenannte Library-Tracks auf, die außer auf speziellen Filmvertonungsplatten keinen kommerziellen Release erhalten. Diese Titel jedoch strotzen nur so vor Einfallsreichtum und musikalischer Energie, so dass man 1975 die LP 'Orion 2000' veröffentlicht, auf der einige der ausgeflipptesten Sequenzen aus diesen Sessions kompiliert werden. Des Weiteren betreut Thomas Fernsehshows wie 'Der große Preis' (mit Wim Thoelke) und 'Der goldene Schuss' (mit Lou van Burg und Vico Torriani). "Ich habe mit Vico Torriani neben vielen Songs außerdem ein Musical gemacht und 10 Jahre lang mit dem Orchester des WDR gearbeitet, mit Werner Müller. Aus dieser Zusammenarbeit stammen auch die Klassikbearbeitungen nach den Curth-Flatow-Geschichten, außerdem viele Jazzaufnahmen. Und so ganz nebenbei habe ich auch noch Julia Migenes entdeckt." Weiterhin erfindet er die 'Ampelmännchen', um die herum er einen ganzen musikalischen Kosmos baut und die mittlerweile auf der ganzen Welt bei der Verkehrserziehung helfen von 1984 bis 1990 verkaufte man über zwei Millionen Kassetten. Es entstehen Untermalungen für Hörspiele nach Erich Kästner ('Der kleine Mann und die kleine Miss') und Arbeiten für die berühmten Gerard-Hoffnung-Gag-Konzerte. Thomas' Hörspielfassung von Disneys 'Das Dschungelbuch' erreicht Platinstatus. Er vertont Musicals ('Boeing Boeing Jumbo Jet', 'Wodka für die Königin') und macht weiterhin Vokalproduktionen mit Künstlern wie Hana Hegerova, Sabrina & den EMI Cesaroni, Joe Ki, Harald Juhnke und anderen. Mittlerweile schreibt Thomas nur noch ab und an fürs Kino; seine letzte Arbeit ist die Musik zu dem Heinz-Becker-Film 'Tach Herr Dokter'. Wie weit die Begeisterung für Peter Thomas reicht, zeigt sich daran, dass der Regisseur Quentin Tarantino ('Pulp Fiction', 'Kill Bill') seinem Freund George Clooney für dessen Regiedebüt einige alte Thomas-Musiken ans Herz legte. So fanden fünf Thomas-Titel aus frühen Edgar-Wallace-Filmen in 'Confessions Of A Dangerous Mind' (2003) Verwendung. Der Komponist selbst fühlte sich sehr geehrt. Heute, mit fast 82 Jahren, ist Peter Thomas agil und innovationsfreudig wie eh und je. Zur Eröffnung des restaurierten Brandenburger Tores in Berlin (2003) erklang sein 'Orion'-Thema, und erst vor kurzem spielte er zum auf der Leinwand ablaufenden 'Raumpatrouille'-Kinofilm live mit Orchester seine Musik. Er setzt sich mit jungen Künstlern wie St. Etienne, High Llamas, Jarvis Cocker, Dauerfisch Stereolab, Combustible Edison, Yoshinori Sunahara oder Xaver Fischer zusammen, lässt seine Kompositionen remixen und liefert eigene Bearbeitungen quasi als Retourkutsche zurück. Er schreibt Hymnen für Romanfiguren wie Perry Rhodan, entwickelt Musicals ('Diana'), verfertigt Bearbeitungen bekannter Klassiker ('Hänsel und Gretel'), macht sein schier unerschöpfliches Klangarchiv Stück für Stück via Internetdownload der Öffentlichkeit zugänglich. Privat ist Peter Thomas seit 1959 mit der ehemaligen Schauspielerin und Kabarettistin Cordula (Cordy) Ritter verheiratet, die als internationale Gesellschaftskolumnistin Cordy Thomas tätig ist und unter dem Pseudonym Gil Francropolus viele Texte für die Melodien ihres Mannes verfasst hat; der gemeinsame Sohn Philip ist Jurist und arbeitet in Zürich. Schon seit den siebziger Jahren lebt Thomas im sonnigen Lugano in der Schweiz. Er begeistert sich für so unterschiedliche Komponisten und Musiker wie Leonard Bernstein, Krzysztof Penderecki, Herbie Hancock oder Friedrich Gulda und mag Songs wie New York, New York und Bert Kaempferts Strangers in the Night. Thomas' kreativer Output lässt sich rein zahlenmäßig auf etwa 100 Spielfilme und über 600 Fernsehfilme und -episoden beziffern. Darüber hinaus existiert eine schier unüberschaubare Anzahl von Melodien und Themen für Werbe- und Industriefilme, Musicals, Spots, Archivproduktionen, Dokumentationen und dergleichen mehr. Peter Thomas ist und bleibt ein Vordenker, ein rastloser Reisender in allen musikalischen Welten. Ein Komponist, der mit seinen Werken von gestern noch im Heute up to date ist, wenn sie nicht sogar für die Zukunft entstanden zu sein scheinen. Bleibt die Frage, wofür er heute komponiert: natürlich für das, was nach morgen kommt "denn dies ist ein Märchen von übermorgen" (Raumpatrouille Orion). Was die Einzigartigkeit des 'Thomas-Sounds' ausmacht, verrät der Meister schließlich selbst: "Eine eigenartige Melodieführung, eine besondere Klangzusammensetzung und sehr präsent. Kompromisslos, nicht käuflich, etwas spinnert, etwas überspannt, sehr experimentierfreudig. So wie ich." Christopher Klaese Falkensee, Mai 2007