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Cagiñí

Cagiñí

Musiker oder Bandit? Das wird aus einem, der zur Wintersonnenwende geboren wird, so will es ein spanisches Sprichwort. Bei Rafael Cortés liegt der Fall klar auf der Hand: Er wurde nicht nur Musiker, sonder mit seiner „doppelten Staatsbürgerschaft“ ist der Mann aus Essen mit Wurzeln in Andalusien und Nordspanien zugleich einer der wichtigsten Botschafter des Flamenco in Deutschland. Mit seinem sechsten Album „Cagiñi“ hat der Gitarrist mitten im Ruhrpott ein inniges Bekenntnis zu seiner Herkunft sowie zu seiner stilistischen Freiheitsliebe geschaffen. Tief verwurzelt in der Gitano-Kultur ist Rafael Cortés durch seinen aus Granada stammenden Vater. Und auch wenn er als Sohn von Migranten in Essen aufwächst, erhält er durch häufige Aufenthalte in Andalusien musikalische Infos aus erster Hand. Schließlich existiert gerade in Granada eine äußerst lebendige Form oraler Tradition des Flamenco. Der junge Rafael schult sich bei lokalen Gitarristen, aber auch an der Spielweise von Paco de Lucia, begeistert sich für dessen Durchbrechen des Herkömmlichen und bekennt: „Seit ich Paco entdeckt habe, bin ich ein Neugieriger geblieben.“ Mit 14 entlässt ihn ein Lehrer bereits aus dem Unterricht, da er ihm nichts mehr beibringen kann, denn da hat das Naturtalent längst Klassik, Jazz und Latin-Einflüsse in sein Spiel integriert. Seit Mitte der Achtziger ist sein künstlerischer Output zu einem beachtlichen Werk angewachsen: Fünf Alben unter eigenem Namen, Filmmusik, Teamworks mit Popstars wie der Spanierin Rosa oder El Cigala, Maria Serrano und Carles Benavent, schließlich ein Aufeinandertreffen mit dem Idol Paco de Lucia bei den Leverkusener Jazztagen. Seine Konzerte werden europaweit mit standing ovations gefeiert. In den letzten Jahren ging für Rafael Cortés ein Traum in Erfüllung: Der Bau eines eigenen Studios. Die Ruhe und künstlerische Freiheit, die er daraus schöpfen kann, ließ sich schon auf dem Album „Parando El Tiempo“ spüren. Nur zwei Jahre später legt der Ausnahmegitarrist nach – wiederum mit einem Werk, das Enthusiasmus, Entspanntheit, Souveränität und vor allem große Gefühle ausstrahlt. Schon im Auftakt berührt Rafael Cortés mit einer sehr persönlichen Adaption der Farruca. Den Männertanz formt er zu einem detailverliebten Instrumental, sparsam arrangiert, aber voll herzblutender Wärme und wohldosierter Virtuosität: „La Meiga“ ist eine Widmung an seine Freundin Rosa, wie man sie sich liebevoller kaum denken kann. Und diese Rose steckt auch im Titel der CD: „Cagiñi“ ist das Roma-Wort für die schönste aller Blumen. Cortés bleibt mit „El Pelo De Mi Gitana“ auf dem Pfad des Herzens, stellt seine Begleitband und den begnadeten Sänger Agustín Fernandez als Gast vor. Die raukehligen Arabesken der Stimme und ein vollmundig-melodiöses Saiten-Intermezzo runden diese Miniatur wunderbar ab. Und in dieser andalusischen Sphäre, der auch der CD-Titel („Cagiñi“ = Rose, schönste Blume) huldigt, sind etliche Titel verortet: In „La Luna“, seinem Gitarren-Kollegen Juan Fernando Luengo gewidmet, atmet Cortés im Dreierrhythmus mit seiner Sechssaitigen, schafft einen bezwingenden Sog, befeuert von Gonzalo Cortés Stimme, die um 5 Uhr morgens eingespielt wurde. In den Tangos Del Tio Gregorio kommt wiederum der ungeschliffene Gesang des jungen, aber mit ungeheurer Vokalreife ausgestatteten Agustín Fernandez aus Almeria zum Tragen, dem Cortés mit überbordendem Melos und hitzig ventilierenden Läufen begegnet. Doch es ist eben auch die Stärke von Cortés' Repertoire, dass es mit leichter Hand ganz unterschiedliche Stimmungen zu einem schlüssigen Ganzen bündeln kann. So punktet das neue Album neben den feurigen Stücken auch immer wieder mit ruhigem Puls und romantischen Momenten: Die klaren, empfindsamen Vocals von Riccardo Doppio dominieren die Ballade „Soledad“, und der Gitarrist tritt, die Melodie erfindungsreich umspielend, zurück. In „The Day“ begeistert er in einer intimen Zwiesprache mit seinem Bruder Falí – dem Original aus der Feder des amerikanischen R&B-Stars Babyface über die Freude einer Geburt werden hier ganz unerwartete Seiten abgewonnen. Und ein weiteres lyrisches, relaxtes Stimmungsgemälde hat er, unterstützt durch den Saxophonisten Georg Pavel und den Perkussionisten Rhani Krija (Mitstreiter u.a. von Sting), in „El Albornoz“ (Der Bademantel“) geschaffen. Den Schaukasten seiner Gitarrenkunst liefert Cortés schließlich mit dem Titelstück: Ein Fluss von Ideen, melodisch und funky, schwebend und kantig zugleich – mehr Inspiration kann man sich von einem Flamencogitarristen nicht wünschen. Der Ausklang des Werkes überrascht nochmals in zweifacher Hinsicht: In „La Tarara“ führt Cortés mit Miriam Suarez die weibliche Stimme in einer reizenden, tänzerischen Vertonung des Garcia Lorca-Gedichtes ein. Und im „Soprano Tarantino“ offenbart sich mit Akkordeon und den ukrainischen Zwillingstenören Sergeij und Vladislav Doppicortski plötzlich slawisches Pathos – wie auf seinem letzen Album enthüllt Cortés zum Ende seine heimliche Liebe für den Osten. Mit „Cagiñi“ ist Rafael Cortés erneut ein Werk mit ungewöhnlichen Schlaglichtern auf das Flamenco-Genre gelungen: Andalusisches Feuer gepaart mit freigeistiger Lust – und in jeder Note voll seelenvoller Empfindung.

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